Interessenkreis, 30. September 2010
Am Morgen des 29. September 1810 trafen sich drei Herren im Haus eines Hildburghäuser Geheimrats. Es waren neben dem Hausherren Karl von Baumbach der Vertreter der herzoglichen Finanzdeputation Lotz sowie der Senator Johann Carl Andreä. Sie besprachen eine Mietangelegenheit, die das herzogliche Domänengut Eishausen betraf.
Senator Andreä beabsichtigte, das Hauptgebäude des Gutes anzumieten, das so genannte Hintere Schloss Eishausen. Der Hildburghäuser Hof hatte das wenige Kilometer südlich der Residenzstadt gelegene ehemalige Rittergut im Jahr 1802 erworben und dürfte froh darüber gewesen sein, das kaum genutzte Hauptgebäude des Komplexes lukrativ vermieten zu können. Dass die Angelegenheit vom Regierungspräsidenten Baumbach persönlich begleitet wurde, macht deutlich, welchen Stellenwert sie hatte. Eine Genehmigung hierzu erfolgte von höchster Stelle.
Die drei Herren begaben sich noch am gleichen Tag von Hildburghausen nach Eishausen, um die Mietsache an den Senator zu übergeben. Der abgeschlossene Vertrag umfasste schließlich das erste und zweite Obergeschoss des Schlosses, einen Teil des Erdgeschosses mit Küche und Speisekammer, einen Keller sowie diverse Ställe für Pferde und Reisewagen in den Nebengebäuden.
Schloss Eishausen, Illustration von Andre "Max" Müller, Hildburghausen
Nicht alle Mietgegenstände befanden sich in einem zufriedenstellenden Zustand. Fensterrahmen waren verfault, Scharniere defekt und Fensterläden beschädigt, die auf Kosten der herzoglichen Verwaltung instand gesetzt werden sollten. Andere Arbeiten, wie etwa das Streichen der Zimmer im ersten Obergeschoss oder die Reparatur der Öfen, sollten hingegen durch den Mieter erfolgen.
Senator Andreä wollte das Schloss allerdings nicht selbst beziehen. Er handelte im Auftrag des Herren "Vavel de Versay" aus Hildburghausen, der dort mit seiner stets tief verschleierten Begleiterin die letzten zweieinhalb Jahre in verschiedenen Quartieren zurückgezogen gelebt hatte. Dieses heute als Dunkelgraf und Dunkelgräfin bezeichnete Paar wollte in das abgelegene Schloss einziehen und sich offenkundig noch weiter vom öffentlichen Leben zurückziehen. Ob sich "de Versay" in diesem Zusammenhang über Andreä nach dem Schloss Eishausen erkundigte oder ob der Hildburghäuser Hof das Gebäude dem betuchten Fremden anbot, lässt sich wohl nicht mehr ermitteln.
Der Einzug in das Schloss Eishausen erfolgte bereits am Tag nach der Unterzeichnung des Mietvertrages. An diesem 30. September 1810, einem Sonntag, dürften mehrere Wagen vom Radefeldschen Haus – der bisherigen Wohnstätte des Paares – nach Eishausen aufgebrochen sein, denn es galt nicht nur das persönliche Hab und Gut der beiden in das neue Domizil zu transportieren, sondern auch zahlreiche gemietete Möbelstücke, mit denen das Schloss ausgestattet werden sollte.
Unterdessen schien man sich in Eishausen vorerst nur vorübergehend niederlassen zu wollen. Dafür spricht die Dauer des Mietverhältnisses, das zunächst auf sechs Monate begrenzt war. Erst später, als offenbar ein längerer Aufenthalt absehbar wurde, hatten die Verträge eine Laufzeit von einem Jahr.
"Vavel de Versay" und seine Begleiterin blieben schließlich bis zu ihrem Tod im Jahr 1837 bzw. 1845 im Schloss wohnen und führten über nahezu 30 Jahre ein ausgesprochen abgeschiedenes Leben. Ihr Dasein, über das nach ihrem Tod immer wieder berichtet wurde, war so merkwürdig, dass sich noch heute die Frage nach dem Grund dieses Verhaltens stellt. Was man als hinreichend gesichert annehmen kann, ist, dass der Herr "Vavel de Versay" unter falschem Namen lebte und in Wahrheit ein ehemaliger holländischer Diplomat namens Leonardus Cornelius van der Valck gewesen ist. Die Identität der Dame ist hingegen bis heute nicht abschließend geklärt.
Das Schloss Eishausen stand nach dem Tod seiner seltsamen Bewohner weitgehend leer. Verschiedene Nutzungsideen wie die Einrichtung eines Armenhauses oder eine Verwendung für das Bibliographische Institut von Joseph Meyer scheiterten. Nach fast 30 Jahren war das Gebäude so baufällig, dass es schließlich 1874 zum Zwecke der Baumaterialgewinnung verkauft und abgerissen wurde. Heute erinnern nur noch einige Steine an den Standort des Schlosses. Für das Dorf Eishausen wie für die gesamte Forschung, die sich mit den damaligen Geschehnissen beschäftigt, stellt dies einen großen Verlust dar, da die wichtigste Wohnstätte des Paares und ein Ort des Erinnerns verloren ging.
Doch ganz in Vergessenheit geriet das Schloss Eishausen nie. Um die Erinnerung auch an die Architektur des Gebäudes zu bewahren, hat der Heimatverein Eishausen e. V. in den letzten Jahren zwei maßstabsgetreue Modelle angefertigt, die das Äußere des Domänenguts veranschaulichen. Im Februar dieses Jahres konnte zudem erstmals das Innere des Schlossgebäudes visualisiert werden, indem durch den Interessenkreis "Madame Royale" und die Hochschule Coburg (FH) eine dreidimensionale Computerrekonstruktion erarbeitet wurde, die mittlerweile auf Video-DVD erhältlich ist. Schließlich setzten sich auch Künstler mit dem Gut auseinander. Der Hildburghäuser Andre "Max" Müller, der sich neben der Holzbildhauerei auch mit grafischen Rekonstruktionen beschäftigt, hat mehrere anschauliche Illustrationen des Schlosses Eishausen angefertigt (siehe Bild www.woodgrafic.de)