Interview mit Prof. Dr. Dr. Brinkmann, September 2002
Interview mit einem DNA-Experten zur Problematik einer DNA-Analyse bei der Dunkelgräfin von Hildburghausen
Prof. Dr. Dr. Brinkmann ist Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Münster (Deutschland) und gilt als ein Experte auf dem Gebiet der forensischen Genetik. Er war im Jahr 2000 an der DNA-Analyse Ludwigs XVII. beteiligt und nimmt in diesem Interview Stellung zu einem möglichen DNA-Test bei der Dunkelgräfin von Hildburghausen.
Frage: Herr Dr. Brinkmann. Sie sind Direktor des "Instituts für
Rechtsmedizin" an der Universität Münster und waren im Jahr 2001 Präsident
der "Internationalen Gesellschaft für Forensische Genetik (ISFG)".
Womit genau beschäftigen Sie sich und was versteht man unter "Forensischer
Genetik"?
Dr. Brinkmann: Als ehemaliger Präsident der ISFG beschäftige ich mich seit mehr als 10 Jahren mit dem ’genetischen Fingerabdruck’. Die ’Forensische Genetik’ umfasst DNA-Analysen bei Abstammungsbegutachtungen (also z. B. bei Vaterschaftstests) und in der forensischen Spurenkunde (also in Kriminalfällen).
Frage: Sie beschäftigen sich in Ihrem beruflichen Alltag nicht nur mit der Aufklärung von Sachverhalten unserer Zeit. Sie haben ebenso historische Ereignisse durch medizinische Untersuchungen näher beleuchtet. Wir denken da vor allem an die Identität Ludwigs XVII. von Frankreich.
Dr. Brinkmann: Neben kriminalistischen ’Altfällen’, die erst heute mit den modernen Methoden der rechtsmedizinischen Molekulargenetik geklärt werden können, befassen wir uns ebenfalls mit ’historischen’ Fällen wie mit dem Herz Ludwigs XVII. und aktuell mit Kaspar Hauser.
Frage: Wie genau muss man sich einen solchen Genvergleich wie bei Ludwig XVII. vorstellen?
Dr. Brinkmann: Über den Begriff ’Gen’ wie er auch in ’Gendatei’ immer wieder auftaucht, bin ich nicht glücklich, weil er nicht zutrifft. Wir untersuchen ganz bewusst keine Gene, also Erbanlagen, die zur Ausprägung kommen, sondern analysieren ’nicht-kodierende’ Regionen des menschlichen Erbguts, in denen sich einzelne Individuen maximal unterscheiden. Im konkreten Fall würde ein kleines Stück aus einem Hartgewebe (z. B. Oberschenkelknochen) präpariert, die DNA würde daraus freigesetzt und gereinigt. Anschließend würden 2 informative Regionen aus der DNA zielgenau mit Hilfe der Polymerasekettenreaktion (PCR) amplifiziert (=vermehrt) und die exakte Abfolge dieses Kettenmoleküls würde bestimmt. Diese DNA-Sequenz würde danach mit der bekannten DNA-Sequenz von Marie Antoinette und anderen in weiblicher Linie verwandter Personen verglichen.
Frage: Wie lange dauert eine vollständige Genanalyse?
Dr. Brinkmann: Eine molekulargenetische Untersuchung kann innerhalb eines einzigen Tagen abgeschlossen sein; sie kann auch mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Die Dauer hängt von der Komplexität des Untersuchungsmaterial und der Fragestellung ab.
Frage: Ein ganz ähnliches Rätsel gibt es ja auch in Thüringen. In Hildburghausen und Eishausen lebte vor 200 Jahren die so genannte "Dunkelgräfin", in der man die Tochter Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes von Frankreich, die Madame Royale - Marie Thérèse Charlotte, vermutet. Sie wissen davon?
Dr. Brinkmann: Ja, durch die Beschäftigung mit Ludwig XVII. bin ich auch auf das Rätsel um die "Dunkelgräfin" aufmerksam geworden.
Frage: Wie schätzen Sie die Chancen ein, aus dem Grab der Dunkelgräfin 160 Jahre nach ihrem Tod noch einen aussagekräftigen DNA-Schlüssel gewinnen zu können?
Dr. Brinkmann: Ohne das Grab gesehen zu haben, ist eine verlässliche Aussage unmöglich. Die Erfolgschance einer DNA-Analyse hängt hier entscheidend davon ab, ob noch Hartgewebe wie Zähne und Knochen vorhanden ist, aus denen womöglich DNA in ausreichender Menge und Güte gewonnen werden könnte.
Frage: In Hildburghausen wird derzeit ein DNA-Test lebhaft diskutiert. Wichtigstes Argument gegen ein solches Vorhaben ist, dass man dazu das Grab der Dunkelgräfin öffnen müsste. Wie muss man sich denn eine Entnahme von DNA-relevantem Material vorstellen und wie viel organische Substanz ist für eine Analyse notwendig?
Dr. Brinkmann: Bei einer Exhumierung würde aus einem Röhrenknochen vor Ort oder - bevorzugt - am Ort der DNA-Untersuchungen ein kleines Stück herauspräpariert.
Frage: Was kostet ein DNA-Vergleich?
Dr. Brinkmann: Auch die Kosten hängen wie die Zeitdauer stark von Komplexität des Falles und der Fragestellung ab. Im Falle der Dunkelgräfin sind bereits essentielle Vorarbeiten, nämlich DNA-Analysen von Marie Antoinette und anderen in weiblicher Linie verwandter Personen, durchgeführt worden, sodass im Falle der Dunkelgräfin ausschließlich Kosten für die molekulargenetische Analyse von relevanten Hartgeweben anfallen. In solchen spannenden historischen Fällen stellen wir nur die Verbrauchsmittelkosten in Rechnung, die ca. 500 - 1.000 Euro betragen.
Frage: Auf dem 19. Kongresses der Internationalen Gesellschaft für Forensische Genetik Ende August 2001, an dem Sie natürlich auch teilgenommen haben, wurde die Möglichkeit angesprochen, mit Hilfe eines DNA-Schlüssels das Aussehen einer Person zu rekonstruieren. Man soll bereits in 5 bis 10 Jahren so weit sein. Was würde das z. B. für das Rätsel um die Dunkelgräfin von Hildburghausen bedeuten?
Dr. Brinkmann: Als letztjähriger Kongresspräsident habe ich Trends aus Grundlagenforschungs-Instituten angesprochen. Die vorsichtige zeitliche Abschätzung beruhte auf der Unkenntnis, mit welchem Forschungsaufwand solche Fragestellungen bearbeitet werden. Im Falle der Dunkelgräfin könnte allerdings eine solche Rekonstruktion sehr viel leichter durch bereits etablierte Verfahren erfolgen, wenn der Schädel hinreichend gut erhalten ist. Aus solch einem Schädel können Spezialisten das mutmaßliche Aussehen zu Lebzeiten rekonstruieren.
Frage: Noch eine Frage am Rande: Wenn sich erweisen sollte, dass die Dunkelgräfin tatsächlich die Madame Royale war, könnte man dann auch feststellen, ob sie jemals schwanger war? Denn diese Annahme gilt als wesentlichster Grund für eine Vertauschung der echten Madame Royale durch ihre Halbschwester Ernestine Lambriquet.
Dr. Brinkmann: Molekulargenetisch ist eine solche Aussage unmöglich und auch die morphologische Begutachtung der Knochen, insbesondere des kleinen Beckens, würde nicht unbedingt eine eindeutige Aussage erlauben.
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