Überblick über die Forschungsgeschichte zu Dunkelgraf und Dunkelgräfin

Identitätsfragen zu Lebenszeiten des Paares


Hofapotheke 
Ingelfingen

 


Haus Radefeld 
in Hildburghausen 

Bereits mit dem ersten nachweislich gemeinsamen Auftreten des Paares im Herbst 1803 in Ingelfingen stellte man die Frage nach dessen Identität. Der Herr war unter dem Namen "Louis de Vavel" bekannt und wurde für einen französischen Emigranten gehalten. Der Name und die Herkunft der Dame waren hingegen unbekannt. Sie galt allgemein als seine Gemahlin. Mit ihrer ständigen Verschleierung erregte sie jedoch Aufsehen und mehrfach wurde versucht, den Grund für ihr Verhalten in Erfahrung zu bringen.

 

Am geheimnisvollen Auftreten des Paares änderte sich an späteren Aufenthaltsorten wie Meiningen, Hildburghausen und Eishausen nichts Grundlegendes. Der Herr galt als "Vavel de Versay", der Name der Dame blieb unbekannt. Einen ersten ernsthaften Klärungsversuch gab es 1826, als das Hildburghäuser Gebiet dem Herzogtum Sachsen-Meiningen unter Herzog Bernhard Erich Freund (1800-1882) zugeschlagen wurde. Die neue Landesregierung in Meiningen verlangte eine Legitimation, die Vavel de Versay jedoch verweigerte und androhte, das Land zu verlassen, sollte er dazu gezwungen werden. Seltsamerweise hatte er damit Erfolg, was auch darauf zurückzuführen sein dürfte, dass man sich des Schutzes durch den vormaligen Herzog Friedrich von Sachsen-Hildburghausen erinnerte.

 


Anselm von
Feuerbach 

 

Die zurückgezogene Lebensweise des Paares erregte nicht nur bei den lokalen Behörden Aufmerksamkeit, sondern fand weit über die Region hinaus Interesse. Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach (1775-1833) versuchte 1832 im Zusammenhang mit der Klärung der Herkunft Kaspar Hausers von Ansbach aus mehr über die Identität des Paares in Eishausen in Erfahrung zu bringen. 1844 bat Polizeirat Eberhard aus Gotha bei einem Amtskollegen in Hildburghausen um Auskunft über das Paar, ohne jedoch Hinweise auf die Identität der Dame zu erhalten.

 

Ein weiterer Anlass zur Klärung ergab sich im Zusammenhang mit dem Tod der Dame am 25. November 1837. Da Vavel de Versay darlegte, die Dame sei nicht seine Gemahlin gewesen, sahen sich die lokalen Behörden, insbesondere das Kreis- und Stadtgericht Hildburghausen, zwecks Klärung der Erbschaftsangelegenheit gezwungen, die erforderlichen Personenangaben für einen Erbenaufruf zu ermitteln. Vavel de Versay weigerte sich zunächst, die betreffenden Angaben zu machen. Der Kommissionär Heinrich Andreä, der im Auftrag Vavels geschäftliche Angelegenheiten regelte, versuchte ebenso wie der Arzt Vavel de Versays, Dr. Carl Hohnbaum, die gerichtlichen Untersuchungen zu beenden. In dem betreffenden Schriftverkehr wird auch die Dame erwähnt. Darin hieß es, sie sei eine nahe Verwandte des Barons Vavel de Versay aus den Niederlanden gewesen. Da diese Angaben für die Behörden zu allgemein waren, musste Herzog Bernhard Erich Freund entscheiden, wie weiter zu verfahren sei. Er entschied – nicht zuletzt, da Vavel de Versay erneut mit dem Verlassen des Landes drohte –, die gerichtlichen Untersuchungen und den juristisch erforderlichen Erbenaufruf vorerst auszusetzen. Der Name der Dame blieb folglich weiterhin unbekannt.


Otto Ludwig

Auch wenn die Bemühungen der Behörden um Aufklärung der Angelegenheit weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit stattfanden, wurde das grotesk anmutende Verhalten des Paares in der Bevölkerung dennoch weitreichend diskutiert. Dichter fanden das Thema spannend genug, um daraus einen Roman zu machen. Der aus Eisfeld stammende Schriftsteller Otto Ludwig (1813-1865) trug sich 1841, also noch zu Lebzeiten de Versays, mit dem Gedanken, ein Stück über den Grafen und die Gräfin zu verfassen. Sein Hauptinteresse bei dieser so genannten "Limbacher Novelle" galt der Identität der Dame und er wollte Intrigen und Hypothesen bezüglich der Gräfin thematisieren.

Offizielle Untersuchungen nach dem Tod des Paares

 


Leonardus Cornelius
van der Valck

Mit dem Tod Vavel de Versay am 8. April 1845 endete ein ungeschriebenes Gesetz: das Verbot, über das seltsame Paar von Eishausen Nachforschungen anzustellen oder zu berichten. Schon wenige Tage nach dessen Tod wurden in der Presse erste Vermutungen angestellt, wer der Graf und die Gräfin gewesen sein könnten. Zahlreiche Autoren, die zum Großteil anonym verfasste Beiträge veröffentlichten, diskutierten über die Herkunft und Identität des Paares, über die Motive ihres zurückgezogenen Lebens, den Alltag im Schloss sowie die Vermögensverhältnisse.

Das zuständige Kreis- und Stadtgericht Hildburghausen war nach Vavel de Versays Ableben angesichts fehlender testamentarischer Verfügungen gehalten, die Erbschaftsangelegenheit für ihn, aber auch für die bereits 1837 verstorbene Dame zu regeln. Die vom Gericht durchgeführte Sichtung des Nachlasses im Schloss von Eishausen brachte Interessantes ans Tageslicht. Der Herr hieß nicht wie angegeben "Vavel de Versay" sondern "Leonardus Cornelius van der Valck". Jedenfalls fand sich ein auf diesen Namen ausgestellter Pass eines ehemaligen holländischen Diplomaten. Zudem fanden sich 13 Briefe einer gewissen Agnes Berthelmy aus den Jahren 1798 und 1799, die an van der Valck gerichtet waren.


Schreiben Hofkirche

Überraschendes teilte am 29. Mai 1845 auch der Vorstand der Hofkirche Hildburghausen mit. Demnach habe der Graf nach dem Tod der Dame im Jahr 1837 doch Angaben über deren Identität gemacht. "Name. Sophie Botta. Stand. Bürgerlich. Geburtsort. Westphalen. Wohnort. Eishausen. Alter. 58. Ledig oder verheirathet. Ledig. Zeit des Ablebens. den 25. Novbr. 1837." Ob die Angaben der Wahrheit entsprachen, war jedoch nicht zu ermitteln. Zumindest die Altersangabe deckt sich nicht mit den Beobachtungen von Zeitzeugen, die das Alter der Dame bei ihrer Ankunft in Hildburghausen im Jahr 1807 auf "höchstens 18 Jahre" schätzten, womit sie 10 Jahre jünger gewesen wäre.

Die vom Gericht obligatorisch zu erlassende Ediktalladung (Erbenaufruf) vom 2. Juni 1845 erging daher nicht nur für einen Vavel de Versay bzw. van der Valck, sondern auch für eine Sophie(a) Botta und eine Agnes Berthelmy. Der Aufruf wurde in vielen in- und ausländischen Zeitungen abgedruckt und machte die Ereignisse in Hildburghausen und Eishausen weithin bekannt.

 


Berthelmy-Brief

Für Leonardus Cornelius van der Valck fanden sich in Holland Erben, womit dessen Identität hinreichend geklärt schien. Am 17. Oktober 1846 wurde seine Erbschaftsangelegenheit offiziell beendet. Auf die Erbschaft der Dame erhobt jedoch niemand Anspruch, auch nicht auf eine zweite Ediktalladung vom 20. Juli 1847, sodass ihr Nachlass 1848 öffentlich versteigert wurde. Ihre Identität blieb trotz der Bemühungen des Gerichts ungeklärt.

Aufgrund der gefundenen Briefe der Agnes Berthelmy vermutete man zunächst, die Dame aus Eishausen sei mit dieser identisch. Möglicherweise habe sie sich von ihrem früheren Gemahl getrennt und mit van der Valck in der Abgeschiedenheit ein neues Glück gesucht. Diese Theorie gilt als einer der ersten Erklärungsversuche für die Ereignisse, wurde 1886 jedoch widerlegt, nachdem der Tod Agnes Berthelmys in Winnweiler bereits für das Jahr 1827 nachgewiesen werden konnte.


Titelbild La Roche (1845)
Die Frage nach der Identität wurde frühzeitig auch in belletristischen Werken aufgegriffen und literarisch verarbeitet. Eine erste Veröffentlichung erschien bereits 1845 unter dem Titel "Der geheimnißvolle Graf zu Eishausen" und legte dar, dass es sich bei dem Schlossherren von Eishausen um einen Arzt namens Girardin handelte, der sich einer illegitimen Tochter des Fürsten Rohan annahm. 1846 erschien der Roman "Faust und Don Juan" von George Hesekiel (1819-1874). Nach diesem hieß die Dame Rafaëla de Aurinia und war die Tochter des spanischen Grafen und Generals Don Juan de Aurinia, die sich mit ihrem Geliebten Cornelius van der Valcke in Eishausen vor den Nachstellungen ihres Vaters verbarg. Der Schriftsteller und herzoglich sachsen-meiningische Archivrat Ludwig Bechstein (1801-1860) meinte in seinem Roman "Der Dunkelgraf" von 1854, bei dem Grafen habe es sich um einen Vertreter der Bentinck'schen Familie gehandelt, der zusammen mit Prinzessin Rohan-Rochefort, der Tochter des Herzogs von Enghien, in der Abgeschiedenheit Sachsen-Hildburghausens sein Leben verbrachte.

Die ersten ernsthaften Forschungen der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts


Karl Kühner
Nach zahlreichen Zeitungsartikeln und ersten belletristischen Werken erschien im Jahr 1852 eine Publikation, die versuchte, die Geschehnisse systematisch aufzuarbeiten und die Thematik umfassend darzustellen. Es handelt sich um einen 120-seitigen Aufsatz mit dem Titel "Die Geheimnisvollen im Schlosse zu Eishausen. Eine wahre Geschichte ohne Lösung" der in Friedrich Bülaus Sammelband "Geheime Geschichten und räthselhafte Menschen" erschien. Der Autor blieb anonym, konnte aber wenige Jahre später als der Theologe und Pädagoge Dr. Karl Kühner (1804-1872) ermittelt werden. Er war der Sohn des Eishäuser Pfarrers Heinrich Kühner, mit dem van der Valck jahrelang korrespondierte. Wie kaum ein anderer Autor war Karl Kühner in der Lage, aufgrund eigener und familiärer Beobachtungen in Eishausen, aber auch aufgrund von Aussagen anderer Zeitzeugen und einem Teil der Zettelkorrespondenz van der Valcks ein detailreiches Bild der Ereignisse um das Paar im Schloss von Eishausen zu zeichnen.


Titelbild Kühner (1852)
Kühner besprach diverse Theorien über die Identität des Paares, verwarf letztlich jedoch alle bisherigen Annahmen und deutete an, wer die Dame gewesen sein könnte: "Das Alter der Dame, wie es der Graf angab (58 Jahre im Jahre 1837), würde mit dem der Tochter Ludwig‘s XVI. zusammenstimmen, und es würde einem Romandichter nicht schwer werden, eine Intrigue zu erfinden, wodurch diese echte Königstochter, halb mit Gewalt, halb freiwillig, ins Schloß nach Eishausen verbannt und eine untergeschobene Herzogin von Angoulême an ihre Stelle gesetzt würde." So abwegig diese Behauptung auf den ersten Blick erschien, bildete sie jedoch den Ausgangspunkt der so genannten "Vertauschungstheorie um Madame Royale", nach welcher Marie Thérèse Charlotte, die Tochter von Ludwig XVI. und Marie Antoinette von Frankreich, 1795 durch eine andere Person ersetzt worden sein soll und sich nach ihrer Vertauschung nach Ingelfingen und später nach Hildburghausen und Eishausen zurückzog. Kühners Aufsatz bildete die wichtigste Grundlage aller späteren Forschungsarbeiten. Es blieb Kühners einzige Veröffentlichung zum Thema. Der Beitrag erschien 1861 auf Französisch und 1875 auf Niederländisch und machte die Geschichte auch im Ausland bekannt.

Titelbild Gartenlaube
Ein weiterer Autor, der noch Gelegenheit hatte, mit Zeitzeugen über Dunkelgraf und Dunkelgräfin zu sprechen, war der Historiker und Schriftsteller Friedrich Hofmann (1813-1888). Er arbeitete von 1841 bis 1858 überwiegend am Bibliografischen Institut Joseph Meyers in Hildburghausen und bewohnte zeitweise das Sommerhaus des Paares am Schulersberg. Dort kam er mit Dorothea Nothnagel geborene Scharr in Kontakt, die Bedienstete im Schloss Eishausen war und sowohl die Dunkelgräfin als auch van der Valck noch persönlich gekannt hatte. Aus ihren Erzählungen folgerte Hofmann, dass die Dame ein Opfer eines großen politischen Geheimnisses und die Gefangene van der Valcks war, der diese geistig verwahrlosen ließ. Seine Schlussfolgerungen publizierte Hofmann in mehreren Aufsätzen in der Zeitschrift "Die Gartenlaube" von 1863, 1866, 1867 und 1886.

Dr. Armin Human
In den 1880er Jahren bemühte sich ein weiterer örtlicher Forscher um eine Aufklärung der zurückliegenden Ereignisse um das Paar von Eishausen. Dr. Rudolf Armin Human (1843-1923) war ein Theologe und Rechtswissenschaftler, der sich neben seinen kirchlichen Verpflichtungen in vielfältiger Weise mit geschichtlichen Themen beschäftigte. Er verfasste zahlreiche Ortschroniken des Südthüringer Gebietes, darunter mehrere Chroniken von Hildburghausen. Mit dem geheimnisvollen Paar begann sich Human vermutlich während seiner kirchlichen Tätigkeit in Eishausen von 1866 bis 1869 zu beschäftigen, zu einer Zeit, als das Schlossgebäude noch existierte, das er noch persönlich begehen konnte.


Titelbild Human (1886)
Anlass, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, mag eine Begegnung mit Carolus J. Schmitz aus Amsterdam gewesen sein, einem Verwandten der holländischen Erben van der Valcks. Schmitz bot ihm an, den mittlerweile in Holland befindlichen schriftlichen Nachlass van der Valcks leihweise zur Auswertung zur Verfügung zu stellen. Die Durchsicht der darin befindlichen Unterlagen ermöglichte es Human, den Dunkelgrafen fast ohne Zweifel als Leonardus Cornelius van der Valck zu identifizieren, zahlreiche Fragen über dessen Leben zu klären und ein detailliertes Persönlichkeitsbild von ihm zu entwerfen. Seine Forschungsergebnisse veröffentlichte er 1883 und 1886 in dem zweibändigen Werk "Der Dunkelgraf von Eishausen. Erinnerungsblätter aus dem Leben eines Diplomaten". Er publizierte zwei Porträts van der Valcks sowie eine Abbildung des Schlosses Eishausen. Die Frage der Identität der Dunkelgräfin hingegen konnte auch mit Hilfe des Nachlasses nicht beantwortet werden. Human diskutierte ausführlich mehrere Lösungsmöglichkeiten, ohne zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen.

Die intensiven Aufklärungsbemühungen des 20. Jahrhunderts


Richard Hennig
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts begann man verstärkt im Ausland, sich eingehender mit dem Fall der Dunkelgräfin und insbesondere der Vertauschungstheorie um Madame Royale zu beschäftigen. In Frankreich betraf dies zum Beispiel den Historiker G. Lenôtre (1855-1935), der sich detailliert mit der offiziellen Biografie Madame Royales auseinandersetzte.

In Deutschland tat dies unterdessen Richard Hennig (1874-1951). Der aus Berlin stammende Verkehrswissenschaftler und Geograph versuchte erstmals über Porträt- und Handschriftenvergleiche zu eruieren, ob es sich bei der jungen Prinzessin Madame Royale und der späteren Herzogin von Angoulême um ein und dieselbe Person gehandelt haben kann. In seinen Aufsätzen "Ein hundertjähriges Geheimnis" und "Eine geheimnisvolle Prinzessin" von 1912 kam er zu dem Schluss, dass die Unterschiede so gravierend seien, dass ernsthaft angenommen werden könne, bei der Dunkelgräfin von Hildburghausen habe es sich um die wahre Madame Royale gehandelt.


Otto Viktor Maeckel
Mit Otto Viktor Maeckel (1884-1939) trat in den 1920er Jahren der bekannteste Verfechter der Vertauschungstheorie um die französische Prinzessin auf. Maeckel war Pianist und hauptsächlich als Klavierlehrer tätig, wurde aber durch Karl Kühners Veröffentlichung von 1852 auf das Thema Dunkelgräfin aufmerksam, das fortan sein Leben maßgeblich bestimmen sollte. Er trug zahlreiche Details über die damaligen Ereignisse in Deutschland und Frankreich zusammen und stellte die Indizien erstmals gebündelt in Form der Vertauschungstheorie dar. 1926 veröffentlichte er sein erstes Buch. Es trug den Titel "Das Rätsel von Hildburghausen" und kam zu dem vorläufigen Schluss, dass in der Dunkelgräfin von Hildburghausen mit großer Wahrscheinlichkeit die Tochter Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes zu sehen ist.


Aubrey Le Blond

In den folgenden Jahren arbeitete Maeckel weiter an der Thematik. Er wurde dabei von Ernst II. von Sachsen-Altenburg (1871-1955) unterstützt, einem Nachkommen der vormaligen Hildburghäuser Herzöge. 1927 initiierten Maeckel, Ernst II. und die aus Irland stammende Elizabeth Alice Aubrey Le Blond (1861-1934) Nachgrabungen am Standort des ehemaligen Schlosses Eishausen. Die Hoffnung, unterirdische Geheimgänge und dort gelagerte Dokumente zu finden, zerschlugen sich jedoch. Wenig später reiste Maeckel mit Le Blond nach Holland und begutachtete den Nachlass van der Valcks in der Annahme, noch unberücksichtigte Details entdecken zu können. 1929 konnte Maeckel zusammen mit Le Blond ein weiteres Buch veröffentlichen, "The Dunkelgraf Mystery", das vor allem den englischsprachigen Leserkreis im Ausland bediente. Im Oktober 1930 plante man einen Kongress über das Dunkelgrafenpaar in Hildburghausen, bei dem eine Erklärung für den Fall der Dunkelgräfin gefunden und weitere Nachforschungen besprochen werden sollten, doch aufgrund nicht näher bekannter Umstände kam die Veranstaltung nicht zustande.
Maeckel wollte seine weiteren Forschungsergebnisse in einem dritten Buch publizieren. Darin beabsichtigte er vor allem auf das Motiv der Vertauschung sowie auf eine von ihm entdeckte Ersatzperson einzugehen. Sein Tod im Jahr 1939 machte den Plan jedoch hinfällig.

Titelbild Boehmker (1937)


Titelbild 
Sachsen-Altenburg (1954)

1933 hatte sich Irmgard Müller in dem kurzen Aufsatz "Was wurde aus Madame Royale?" zum Thema geäußert und auf Grundlage Maeckels weiterer Recherchen neue Einzelheiten veröffentlicht. Erstmals wurden ein mögliches Motiv für die Vertauschung der Prinzessin (eine ungewollte Schwangerschaft) und die vermutete Ersatzperson (Ernestine Lambriquet) benannt.

Unterdessen bereiteten andere Autoren das Thema in publikumswirksamen Büchern auf, etwa der Schriftsteller Paul Daehne in seinem 1933 veröffentlichten Buch "Das Geheimnis der Dunkelgräfin" sowie der in Österreich tätige Kommerzialrat Richard Boehmker (1870-1954) in "Das Geheimnis um eine Königstochter" von 1937. Letzterer glaubte fest an eine Identität der Dunkelgräfin mit Madame Royale und versprach im Untertitel bereits die "Lösung des mehr als hundertjährigen Rätsels".

In den 1950er Jahren führte der Sohn Ernsts II., Prinz Friedrich Ernst von Sachsen-Altenburg (1905-1985), die Arbeit Maeckels weiter. Ergänzt durch eigene Untersuchungen, darunter eine Reise im Jahr 1951 nach Amsterdam, um den Nachlass van der Valcks nochmals in Augenschein zu nehmen, konnte er 1954 das dritte Buch Maeckels auf französisch unter dem Titel "L'Énigme de Madame Royale" veröffentlichen. Damit war die Vertauschungstheorie endgültig in Frankreich publik gemacht. Darauf aufbauend erschienen in Frankreich weitere Publikationen, etwa 1974 von Robert Ambelain oder 1977 von Marie-Magdeleine de Rasky, in denen man schon fest von einer Personenvertauschung Madame Royales ausging.

Die Forschung seit den 1990er Jahren

 


Titelbild Horbas (1993)


Titelbild Rühle (2000)

Anfang der 1990er Jahre kam es zu einem neuen Aufschwung in der Dunkelgrafen-Forschung. Mit zahlreichen Zeitungsartikeln wurde in Hildburghausen und Umgebung an die Persönlichkeiten van der Valcks und der Dunkelgräfin sowie an die zurückliegenden Ereignisse erinnert. 1991 erschien unter dem Titel "Das Rätsel der Madame Royale" eine deutsche Ausgabe von Maeckels 1954 durch Prinz Friedrich Ernst von Sachsen-Altenburg herausgegebenen Buches und fand einen breiten Leserkreis.

Einen Meilenstein in der Forschung stellte der 1993 von Eva Horbas veröffentlichte Artikel "Das Geheimnis von Eishausen. Wieder aufgefundene Meininger Ministerialakten zur Dunkelgrafenproblematik" dar. Erstmals wurden Archivalien des Thüringischen Staatsarchivs Meiningen, die sich direkt oder indirekt mit dem Eishäuser Paar beschäftigen, systematisch aufgearbeitet und veröffentlicht. Die Quellen befassen sich im Wesentlichen mit dem Erbschaftsverfahren für die Dunkelgräfin und van der Valck im Zeitraum von 1837 bis 1848.

In mehreren Aufsätzen beschäftigte sich Helga Rühle von Lilienstern (1912-2013) mit Detailfragen zu Dunkelgraf und Dunkelgräfin. Sie widmete sich der in- und ausländischen Literatur über das Thema, den Aussagen von Zeugen und Mitwissern sowie den Auffassungen, die an den Fürstenhöfen über das seltsame Paar bestanden. Sie konnte dabei erstmals den Nachlass des Dunkelgrafenforschers Rudolf Armin Human auswerten, der in den 1990er Jahren in Eishausen aufgefunden wurde. Von der Identität der Dunkelgräfin mit Madame Royale war sie fest überzeugt.


Symposium 2004

Auf Initiative von Margarethe Rathe-Seeber aus Ingelfingen wurde die Thematik ab 1996 Gegenstand von öffentlichen Veranstaltungen. Die so genannten Dunkelgrafen-Symposien gaben verschiedenen Forschern die Möglichkeit, über neue Entdeckungen zu berichten und ihr Wissen auszutauschen. Mit teils über 100 (auch internationalen) Teilnehmern fanden die Tagungen in Ingelfingen (1996, 2004), in Hildburghausen (1997, 1999, 2007), in Ettenheim (2001) und in Altenburg (2003) statt. Gegenstand der Veranstaltungen war hauptsächlich die Vertauschungstheorie um Madame Royale, die als weitgehend gesichert angesehen wurde.


Titelbild Lannoy (2007)


DVD MDR (2007)


Titelbild Philipps (2012)

Anlässlich des 200. Jubiläums der Ankunft des Dunkelgrafenpaares in Hildburghausen im Jahr 2007 erschienen mehrere neue Veröffentlichungen. Der niederländische Forscher Dr. Mark de Lannoy (*1963) publizierte nach Jahrzehnten intensiver Forschungsarbeit das Buch "Das Geheimnis des Dunkelgrafen" und trug damit wesentlich zur weiteren Aufklärung der damaligen Ereignisse bei. Er konnte sich vor allem auf den von ihm in Amsterdam wiederentdeckten Nachlass van der Valcks stützen, der fast 50 Jahre als verschollen galt. Ende 2007 publizierten Helga Rühle von Lilienstern (1912-2013) und Hans-Jürgen Salier (*1944) das Buch "Das große Geheimnis von Hildburghausen", in dem die Autoren fest von der Identität der Dunkelgräfin mit Madame Royale überzeugt waren.

 

Der zunehmende Bekanntheitsgrad der Geschichte um das seltsame Paar war auch mehreren Filmbeiträgen zu verdanken, die in dieser Zeit entstanden. So berichtete der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) 2002 in einem Kurzfilm mit dem Titel "Rätselhafte Geschichten. Die Dunkelgräfin von Hildburghausen" über das Thema. Im Rahmen der Reihe "Geschichte Mitteldeutschlands" entstand 2007 eine 45-minütige Dokumentation mit dem Titel "Die vertausche Prinzessin. Die Dunkelgräfin von Hildburghausen". Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, die Dunkelgräfin könne nicht Madame Royale gewesen sein.

Susan Nagel (*1954) stellte in ihrer 2008 erschienen Biografie über Madame Royale "Marie-Thérèse, Child of Terror" dar, dass es sich bei ihr sehr wahrscheinlich nicht um eine vertauschte Person handelte und die Dunkelgräfin vielmehr eine Prinzessin von Condé gewesen sein mag. Hingegen kam Carolin Philipps (*1954) in ihrem Buch von 2012 "Die Dunkelgräfin" zu dem Schluss, dass die geheimnisvolle Dame nur die vertauschte Tochter Marie Antoinettes gewesen sein kann.

In den 2000er Jahren wurden vermehrt andere Theorien über die Identität der Dunkelgräfin entwickelt. Einige Forscher stellten zur Diskussion, dass es sich bei der Dame um eine bürgerliche Frau namens Sophie(a) Botta gehandelt haben könnte, wie es van der Valck mit seinen Angaben über seine Begleiterin nahelegte. Andere vermuteten in der Dunkelgräfin eine illegitime Tochter von Friedrich Wilhelm II. von Preußen und seiner Mätresse Wilhelmine Enke oder eine französische Person namens Cécile Renault. In der Diskussion befand sich auch die Vermutung, sie sei eine illegitime Tochter des österreichischen Kaisers Joseph II. und einer gewissen Wilhelmine von Botta gewesen. Beweise konnten bislang für keine dieser Annahmen gefunden werden.

Der Einsatz wissenschaftlicher Methoden zur Lösung des Falls


 


Titelbild Meyhöfer (2007)

Im Jahr 2005 wurde ein Geschichtsverein gegründet, der sich intensiv mit der Thematik der Dunkelgräfin beschäftigt. Dieser Geschichtsverein, der heute den Namen "Interessenkreis Dunkelgräfin" trägt, setzte sich das Ziel, das Engagement verschiedener Forscher zu bündeln, die Forschungsarbeit zu koordinieren und die Frage der Identität der Dunkelgräfin auf wissenschaftlicher Grundlage zu klären. 

Zunächst wurde sich kritisch mit der bisherigen Vertauschungstheorie um Madame Royale auseinandergesetzt. Im Rahmen des 7. Symposiums zu Dunkelgraf und Dunkelgräfin im Jahr 2007 in Hildburghausen erschien unter dem Titel "Das Rätsel der Dunkelgräfin von Hildburghausen. Bilanz einer 160-jährigen Forschung" ein Vortragstext, in dem sich der Interessenkreis skeptisch bezüglich der Vertauschungstheorie äußerte. Als Fazit wurde festgehalten, dass es keinen Beweis für die Annahme der Identität der Dunkelgräfin mit Madame Royale gebe und man auch andere Lösungsmöglichkeiten in Erwägung ziehen müsse. Dabei sollten alle Theorien über ihre Identität unvoreingenommen betrachtet werden. Zugleich wurde absehbar, dass der historische Fall mit den herkömmlichen Methoden nicht zu lösen sein wird. 

Auf Initiative des Interessenkreises wurde 2012 ein interdisziplinäres Wissenschaftsprojekt vom Mitteldeutschen Rundfunk ins Leben gerufen, in dessen Rahmen der historische Fall mit wissenschaftlichen Methoden eingehend untersucht werden sollte. In diesem Zusammenhang wurde im Oktober 2013 in Kooperation mit der Stadt Hildburghausen das Grab der Dunkelgräfin geöffnet und anhand der sterblichen Überreste eine Gesichtsrekonstruktion und Porträtvergleiche sowie DNA-Vergleiche durchgeführt. Das Ergebnis der Untersuchungen wurde am 28. Juli 2014 im Rahmen des Films "Die Dunkelgräfin von Hildburghausen" im MDR-Fernsehen veröffentlicht. Dabei konnte der wissenschaftliche Beweis erbracht werden, dass es sich bei der Dunkelgräfin nicht um die französische Prinzessin Madame Royale gehandelt hat. 

Aktueller Forschungsstand

 

Wer die Dunkelgräfin tatsächlich gewesen ist, konnte mit dem Wissenschaftsprojekt des Mitteldeutschen Rundfunks nicht geklärt werden. Allerdings fand man zwei vielversprechende Forschungsansätze. Einerseits könnte es die Gesichtsrekonstruktion der Dunkelgräfin ermöglichen, eine zu ihr passende historische Person ausfindig zu machen, andererseits konnte bei der Dunkelgräfin eine ausgesprochen seltene mitochondriale DNA festgestellt werden, die es früher oder später ermöglichen könnte, ihre Identität über DNA-Vergleiche und ergänzende genealogische Recherchen aufzuklären.

 


© Interessenkreis Dunkelgräfin